Interview mit dem Außerordentlichen und Bevollmächtigten Botschafter der Republik Tadschikistan in Deutschland

Aleksandr Boyko

BildAm 9. September 2021 feiert die Republik Tadschikistan das 30-jährige Bestehen ihrer Unabhängigkeit. Es ist ein bedeutendes Datum und ein wichtiges Ereignis für das tadschikische Volk. In den 30 Jahren seines Bestehens auf der politischen Landkarte hat Tadschikistan verschiedene Etappen der Entstehung durchlaufen, darunter schwierige und schicksalhafte für die Erhaltung und Stärkung der Grundlagen der demokratischen Entwicklung. Inzwischen hat die junge Republik bereits mit mehr als 100 Ländern weltweit Handelsbeziehungen aufgenommen.

Der Chefredakteur des Berliner Telegraph, Aleksandr Boyko, traf den tadschikischen Botschafter in Deutschland, Sohibnazar Gayratsho, und befragte ihn zum Stand und den Perspektiven der deutsch-tadschikischen Zusammenarbeit.

A.B.: Herr Botschafter, wie würden Sie die Entwicklung der Beziehungen zwischen Ihrer Republik und der Bundesrepublik Deutschland in diesem Zeitraum bewerten?

S.G.: Am 28. Februar 2022 werden wir 30 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Tadschikistan und Deutschland feiern. Deutschland war das erste EU-Land, das eine diplomatische Vertretung in Duschanbe eröffnete. Seitdem haben sich unsere Beziehungen in einer konstruktiven Atmosphäre entwickelt. Seit den ersten Jahren der Unabhängigkeit engagiert sich Deutschland für den Frieden und den wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes, indem es zunächst humanitäre Hilfe leistete und später die Entwicklungszusammenarbeit unterstützte. Für unser Land ist Deutschland ein wichtiger Partner in Europa. Die rechtliche Grundlage für die tadschikisch-deutschen Beziehungen bilden Dutzende von bilateralen Verträgen und Abkommen, die viele Bereiche der Zusammenarbeit abdecken. Die Parteien verhandeln derzeit über eine weitere Stärkung des vertraglichen und rechtlichen Rahmens.

Es gibt verschiedene Mechanismen der Zusammenarbeit zwischen Tadschikistan und Deutschland. Jedes Jahr finden interministerielle politische Beratungen zwischen den Außenministerien der beiden Länder statt. Es werden Kontakte auf höchster und hoher Ebene gepflegt und regelmäßige interparlamentarische Kontakte hergestellt. Die beiden Länder arbeiten in den Bereichen Rechtsprechung, Justizreformen und Einrichtung eines Schiedsgerichts zusammen. In den Jahren der Unabhängigkeit haben mehrere hundert unserer Studenten und Stipendiaten an deutschen Universitäten und Forschungszentren studiert oder Praktika absolviert. Ein wichtiges Ereignis in den bilateralen Beziehungen ist der offizielle Besuch des tadschikischen Präsidenten in Deutschland Ende 2011 und eine Reihe von hochrangigen Treffen, die neue Seiten in den tadschikisch-deutschen Beziehungen aufgeschlagen haben.

Der Bereich Handel und Wirtschaft hat für uns eine hohe Priorität. Der derzeitige Handelsumsatz zwischen den beiden Ländern spiegelt bei weitem nicht die tatsächlichen Möglichkeiten wider. Tadschikistan ist daran interessiert, Direktinvestitionen, Spitzentechnologie und Innovationen aus Deutschland anzuziehen, um seine ungenutzten Ressourcen und landwirtschaftlichen Produkte zu verarbeiten und so seine Wirtschaft zu entwickeln. Eine Reihe von Unternehmen aus Deutschland und anderen EU-Ländern, wie „Andritz Hydro“, „Fichtner“, „Siemens“ und „Willo“, sind an strategisch wichtigen Wasserkraftprojekten beteiligt. Dutzende von anderen Unternehmen und Unternehmern verhandeln derzeit mit tadschikischen Unternehmern über Partnerschaften.

Bis 2020 galt Deutschland als einer der wichtigen Partner Tadschikistans in der Entwicklungszusammenarbeit. Bislang haben die in Tadschikistan durchgeführten gemeinsamen Projekte einen realen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung unseres Landes geleistet.

Insgesamt ist die tadschikisch-deutsche Zusammenarbeit vielschichtig und entwickelt sich dynamisch. Wir sondieren Möglichkeiten der Zusammenarbeit in anderen Bereichen, die in der postsowjetischen Zeit noch nicht erschlossen sind.
Foto: Aleksandr Matveev/Berliner Telegraph

A.B.: Hat die Pandemie die Beziehungen zwischen Tadschikistan und seinen internationalen Partnern beeinträchtigt?

S.G.: Leider ist auch Tadschikistan, wie die meisten Länder der Welt, nicht von der Coronavirus-Pandemie verschont geblieben. Die COVID-19-Pandemie hatte erhebliche negative Auswirkungen auf die tadschikische Wirtschaft und belastete den Sozial- und Gesundheitssektor stark. Beschränkungen der Mobilität der Arbeitskräfte und der Wirtschaftstätigkeit im In- und Ausland haben zu einem Rückgang der Überweisungen von Migranten, einer geringeren Verbrauchernachfrage und weniger Investitionen geführt.

Es wird erwartet, dass sich die Wirtschaft in den Jahren 2021-2022 erholen wird, sofern sich die epidemiologische Situation verbessert, die Überweisungen wieder zunehmen und der internationale Handel wieder aufgenommen wird. Der Inflations- und Wechselkursdruck wird voraussichtlich nachlassen, da die Einfuhrpreise sinken und die Devisenzuflüsse zunehmen. Darüber hinaus wird sich die schwierige Lage im benachbarten Afghanistan zweifellos auf den Zustrom ausländischer Investitionen auswirken. Wir hoffen sehr, dass sich die Lage im leidgeprüften Afghanistan so bald wie möglich stabilisiert.

A.B.: Welche Themen stehen auf der Tagesordnung für Gespräche mit Mitgliedern der deutschen Regierung?

S.G.: Auf der Tagesordnung steht eine breite Palette von Themen der bilateralen Zusammenarbeit. In diesem Jahr planen wir eine Reihe gemeinsamer Veranstaltungen, um den aktuellen Stand und die Perspektiven der Zusammenarbeit in den Bereichen Politik, Handel und Wirtschaft, Investitionen, Kultur, humanitäre Hilfe und anderen Bereichen zu bewerten. Kurzfristig stehen wir vor der Aufgabe, ein tadschikisch-deutsches Unternehmerforum einzurichten und regelmäßige politische Konsultationen zwischen den Außenministerien der beiden Länder abzuhalten, um die Möglichkeiten der bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit zwischen Tadschikistan und Deutschland zu analysieren und zu erweitern. Wir arbeiten gemeinsam daran, die Investitionszusammenarbeit zu verstärken und die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen unseren Ländern auszubauen, die ein erhebliches Potenzial aufweisen.

Heute konzentriert sich Tadschikistan zunehmend auf regionale Integration und grenzüberschreitende Zusammenarbeit “ sowohl innerhalb Zentralasiens als auch mit anderen Nachbarländern. Wirtschaftliche Integration, gemeinsames Bedrohungsmanagement und Umweltschutz sind einige der vielen Bereiche, in denen Tadschikistan mit allen zentralasiatischen Republiken und anderen Ländern im Rahmen internationaler und regionaler Organisationen zusammenarbeitet. Zu den Prioritäten unserer Zusammenarbeit gehört die gemeinsame und wirksame Umsetzung der regionalen deutschen Initiative „Grünes Zentralasien“, die zur Entwicklung einer grünen Wirtschaft und zur Sicherheit angesichts des globalen Klimawandels in unserer Region beitragen soll.

Jedes Jahr kommen immer mehr junge Menschen aus Tadschikistan nach Deutschland, um hier zu studieren, ein Praktikum zu absolvieren und sich beruflich weiterzuentwickeln. Und natürlich steht auch die Frage der Anerkennung unserer Hochschulabschlüsse in Deutschland auf der Tagesordnung der Zusammenarbeit mit Deutschland.

Natürlich steht auch die Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern bei der Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie durch den Austausch von Fachleuten auf diesem Gebiet auf der Tagesordnung, ebenso wie die schnellstmögliche Lösung der aktuellen Situation in Afghanistan.

A.B.: Können Sie uns sagen, welche Privilegien auf deutsche Geschäftsleute warten, die in die tadschikische Wirtschaft investieren wollen? Welche Initiativen bietet Tadschikistan für die Wirtschaftsförderung in Deutschland?

S.G.: Zur Förderung von Investitionen und zur Schaffung eines günstigeren Investitionsklimas hat Tadschikistan eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, ein System von Garantien für Investoren und Investitionstätigkeiten eingeführt, eine einheitliche Regelung für in- und ausländische Investoren geschaffen, die Freiheit der Übertragung von Gewinnen und anderen Formen von Einkünften aus Investitionstätigkeiten garantiert und vieles mehr. Die Rechtsvorschriften sehen ein System von Steuer- und Zollpräferenzen vor. Besondere Vorteile sind für Investoren vorgesehen, die in den vorrangigen Sektoren der Wirtschaft des Landes tätig sind, insbesondere beim Bau von Wasserkraftwerken.

Wir fordern die deutsche Wirtschaft auf, sich aktiver an der Umsetzung der vorrangigen Projekte des Landes zu beteiligen. Perspektiven gibt es in vielen Bereichen der Wirtschaft. Als Beispiel kann ich den Energiesektor, die erneuerbaren Energien, die Informations- und Kommunikationstechnologien, die chemische Industrie, die Baustoffe, die Pharmazie usw. anführen. Wir unsererseits sind bereit, der deutschen Wirtschaft auf jede erdenkliche Weise zu helfen, in Tadschikistan erfolgreich zu arbeiten.
Foto: Aleksandr Matveev/Berliner Telegraph

A.B.: Tadschikistan ist ein Land mit großem touristischem Potenzial. Welche Arten von Tourismus bietet Tadschikistan den Deutschen?

S.G.: Tadschikistan ist eine einzigartige moderne Touristenattraktion, weil es ein großes kulturelles und historisches Erbe, eine einzigartige Kultur, eine vorteilhafte geografische Lage, eine Vielfalt von Naturlandschaften, Erholungsgebieten, Flora und Fauna besitzt.

Die wichtigste Perle Tadschikistans ist das Pamir-Gebirgssystem, wo wilde und schöne Natur an Bergwiesen und massive Gletscher, wilde Flüsse und ruhige Seen, höchste Gipfel und tiefe Schluchten grenzt. Professionelle Bergsteiger machen sich jedes Jahr auf den Weg, um die höchsten Punkte des Pamirs zu bezwingen: den Gipfel Ismoil Somoni (7.495 m) und den Gipfel Lenin (7.134 m). Und das Radfahren entlang des Pamirgebirges wird Ihre eigenen Kräfte auf die Probe stellen und die vielseitigste Erfahrung bieten, die man in Zentralasien machen kann.

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